Mittwoch, 13. Aban (4. November)
Ein merkwürdiges Gefühl hat heute von mir Besitz ergriffen. Nur einen Meter von mir entfernt wurde ein Mann Ende Fünfzig von mehreren Menschen geschlagen, und ich habe es genossen. Obwohl ich weder den Drang zum Mitmachen verspürte, noch Zeit hatte darüber nachzudenken, verursachte das Vergnügen, das ich beim Anblick des angsterfüllten Gesichts dieses Mannes verspürte, bei mir den Wunsch, seine Angreifer anzufeuern. Ich bin froh, dass ich es nicht getan habe. In der Schlägerei, als er sie anflehte aufzuhören und immer wieder schrie "warum schlagt ihr mich?", dachte ich nur: "du machst wohl Witze". Der Mann war ein Basij.
Die Affenmacht hatte nur eins im Sinn: Jede Menschenansammlung zu verhindern. Ihre Strategie: wahllose Gewalt. Gegen 10:30 Uhr kamen wir auf dem Weg zum Vali-Asr-Platz an der Metrostation Beheshti vorbei. Eine Gruppe von Spezialeinheiten der Revolutionsgarden, in Tarnanzügen und Schlagstöcke schwingend, stürmten plötzlich das Tor der Station, so dass die Leute, die gerade herauskamen, ängstlich wieder ins Innere flohen. Sieben oder acht Sicherheitsleute rannten hinein, die anderen verschlossen die Tore hinter ihnen und versperrten sie. Danach hörte man nur noch Schreie und dumpfe Schläge.
Wir haben bei den Demonstrationen etwas gelernt. Wenn die Affen angreifen, sollte man auf keinen Fall rennen, sondern auf dem Gehweg nah an den Schaufenstern bleiben und weiter gehen, oder einfach an einer Wand stehen bleiben. Normalerweise laufen sie dann an dir vorbei, hinter denen her, die rennen. Heute jedoch fuhren die Affen mit Motorrädern auf den Gehwegen, hielten ihre Schlagstöcke an die Wände und gaben Gas. Wenn sie keine Motorräder hatten, liefen sie einfach durch und schwangen ihre Knüppel, Stöcke oder Ketten. Es spielte keine Rolle, wen oder was sie damit trafen.
Ich werde hier nicht minutiös über den Tag berichten. Es war überwiegend eine pausenlose Abfolge heftiger Schläge, Blutergüsse und Blut, von der ich schnappschussartige Eindrücke behalten habe. Ich erinnere mich auch, einige Male Schüsse gehört zu haben. Auch mit Verhaftungen schien man wahllos zu sein. Wir sahen Basijis, die sich willkürlich junge Leute herausgriffen, sie auf die Knie zwangen, ihnen Handschellen und Augenbinden anlegten und sie dann fortbrachten.
Auf der Vali-Asr-Straße nördlich des Platzes beschimpfte ein Polizist laut einen alten Mann, weil er sich bei der Demonstration gezeigt hatte. Ein junger Mann ging zu dem Polizisten und gab ihm eine Blume, woraufhin der Polizist ihn schlug und auf den Gehweg warf. Der Junge rappelte sich auf und ging.
In den Schlägereien sahen wir auch Sicherheitskräfte und Basijis, die geschlagen oder von Steinen getroffen wurden. In der Karim-Khan-Straße nahe dem Vali-Asr-Platz jagte ein achtzehn- oder neunzehnjähriger Basij auf der Straße neben dem Gehweg einem Mann hinterher, wobei er einen Gummigurt schwang. Der Mann war kräftig, und der Basij war klein, pausbäckig, mit nur einem Anflug eines sprießenden Bartes. Zum ersten Mal konnte ich sehen, wie eine Technik angewandt wurde, über die ich schon gelesen hatte, die aber schwer umzusetzen ist. Mitten im Lauf stoppte der Mann unvermittelt auf der Stelle, drehte sich um, griff sich den verdutzten Basij und warf ihn gegen ein Auto. Der Basij brauchte ein paar Sekunden, um wieder aufzustehen. Als er sah, dass einige Leute sich auf ihn stürzen wollten, rannte er weg, aber sie erwischten ihn und begannen, ihn zu verprügeln. In diesem Augenblick tauchte ein Basij, etwa Mitte Fünfzig, mit kurzen weißen Haaren - der, den ich eingangs erwähnte - hinter einem Bus auf und lief in Richtung des Handgemenges, ebenfalls mit einem Gummigurt in der Hand, und versuchte, die Leute zu vertreiben und den anderen Basij zu befreien. Weitere Menschen tauchten auf und griffen ihn an. Er fiel einen Meter vor mir zu Boden und bekam Tritte und Faustschläge verpasst. In diesem Moment stieß eine Gruppe Basijis dazu, sie umringten die anderen beiden Affen und schleiften sie fort.
Die Demonstration erreichte zu keinem Zeipunkt das Ausmaß und die Konzentration vom Quds-Tag. Es war gar nicht möglich. Alle flohen vor den Sicherheitskräften, gruppierten sich in den Seitenstraßen neu, oder erholten sich vom Tränengas und den Schlägen. Die größte Gruppe, die ich sah, marschierte auf der Karim-Khan-Straße und skandierte Parolen gegen die Regierung. Es waren höchstens 2oo oder 300 Leute. Von Zeit zu Zeit tauchten regierungstreue Demonstranten mit Lautsprechern und Parolen auf. Die größte dieser Gruppen bestand aus einigen hundert Leuten. Ich erinnere mich noch an eine ihrer neuen Parolen "Tod dem samtenen Dikator". Was auch immer das bedeutet.
Bevor ich gehe und zusammenbreche - ich bin nämlich völlig erschlagen, schmutzig und müde - möchte ich den 13. Aban mit Rafsanjanis Super-Duper-Plan verknüpfen. Seit seiner Entstehung und der vermeintlichen Entspannung zwischen Rafsanjani und Khamenei ist dieser Plan von vielen im Iran als trügerische Hoffnung und als Trick des Obersten Führers angesehen worden, mit dem er Zeit schinden und möglichst viel Ablenkung erreichen wollte. Der 13. Aban war ein weiteres gebrochenes Versprechen, eine weitere Kehrtwende, ein weiterer verlöschender Hoffnungsschimmer. Wir stehen einem Regime gegenüber, in dem es für Reformen in der Praxis keinen Ansprechpartner gibt. Weder die Führungsfiguren der grünen Bewegung, noch Rafsanjani, noch die Marjas (hohen Geistlichen, d. Übers.) haben es geschafft, dem Obersten Führer Zugeständnisse von irgendeiner Bedeutung abzuringen. Immer wieder höre ich: "Was werden sie jetzt sagen? Schon wieder dasselbe?" Der 13. Aban hat uns von den letzten Zweifeln befreit, dass es Khameneis Wille ist, die Opposition vollständig niederzuringen. Viele im Iran sehen in ihm einen Mann, der nicht verhandelt, und als den Täter, dem wir alles, was seit den Wahlen passiert ist, zu verdanken haben.
Die Luft in Teheran heute Nacht ist erfüllt von einem Summen. Es sind wütende Gespräche darüber, Gewalt mit Gewalt zu beantworten. Die Menschen verlieren die Geduld, und ich höre, wie man in die Sprache der Gegner verfällt. Ob das für uns ein gangbarer Weg ist oder nicht, wird die Zukunft zeigen, aber wir haben 1979 vor Augen. Wenn man uns die Hoffnung nimmt, wird es nicht lange dauern, bis Reformen einer gründlichen Instandsetzung weichen. Im Moment fragen sich viele, ob die Reformen in einer Sackgasse angekommen sind. Das Wort "Versöhnung" klingt mittlerweile seltsam. Vielleicht ist es lediglich eine Reaktion auf einen Tag voller Brutalität in den Straßen, oder eine existenzielle Phase, die nach sechs Monaten des sich-im-Kreis-Drehens unvermeidbar ist. Eines jedoch ist klar. Ganz am Anfang forderte die Bewegung die Rückgabe ihrer Stimmen. Heute treten sie für eine "Iranische Republik" den Führer mit Füßen. Vielleicht schafft er es, die Opposition zu vernichten, aber möge jemand seine Seele retten, wenn ihm das nicht gelingt.