Offener Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel und den
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zum Iran
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, verehrte Frau Merkel,
Sehr geehrter Herr Bundesaußenminister,
verehrter Frank Walter Steinmeier,
Ich darf Sie in Sachen Iran kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Ich bitte Sie,
in Ihrem Bemühen um Kritik und die öffentliche Aufmerksamkeit
gegenüber den anhaltenden Menschenrechtsverletzungen im Iran auch
und gerade jetzt nicht nachzulassen.
I.
Das Netzwerk junger Iraner protestiert heute anlässlich der
Amtseinführung gegen die Politik dieses Präsidenten. Aus im wesentlichen
drei Gründen:
(1)Dieser Präsident hat nach allen Indizien das Volk um seine Wahl betrogen.
Selbst der Wächterrat hat Wahlbetrug festgestellt - allerdings nur für einige
Stunden, ehe er von anderen zurück gepfiffen worden ist. Er hat nicht
systematisch nachzählen lassen. Und es waren ohnehin viele mobile
Wahlurnen ohne jede Kontrolle und Beobachtung. Es gab daher nicht
die Ahnung von freien, geheimen und fairen Wahlen. Damit ist mit
der Wahlfälschung die iranische Verfassung gebrochen worden.
(2)Sie protestieren als Netzwerk junger Iraner gegen die schwersten
Menschenrechtsverletzungen seit über 10 Jahren, und zwar
Menschenrechtsverletzungen gegenüber den eigenen Söhnen und Müttern.
Sie protestieren gegen die Folter an Taraneh Mussawi, die zunächst brutal
vergewaltigt wurde, ehe sie ermordet wurde. Sie protestieren gegen
grausamste Sexualverbrechen in iranischen Gefängnissen, die an verhafteten
Demonstranten begangen wurden. Sie protestieren gegen die gezielten
Schüsse aufs wehrlose Demonstranten, gegen die Sniper aus dem Hinterhalt
auf den Straßen von Teheran oder Isfahan. Sie protestieren gegen die
lebensgefährdenden Haftbedingungen des Reformers Saed Hajarian.
Die Zahl der Ermordeten kennen wir nicht genau. Aber sie liegt um das
vielfache höher als die offiziell eingestandenen. Nach den Zählungen der
jungen Iraner sind es 80, deren Namen wir inzwischen kennen. Nehmen
wir allerdings die elektronischen Informationen hinzu, die uns per Twitter
und anderswie aus dem Land erreichen, dann ist es wie mit den Gerüchten
während des Nationalsozialismus. Sie muss man, wie Adorno einmal sagte,
ernst nehmen, und das heißt, wir müssen nach unseren Schätzungen davon
ausgehen, dass hunderte ermordet worden sind und tausende heute unter
Folter und Todesdrohungen in Gefängnissen leiden. Das ist Tianmen auf
inzwischen knapp acht Wochen verteilt.
Sie tun dies in Solidarität mit denen, die am 1. August trotz rabiat
durchgesetzten Verbots in Erinnerung an den tödlichen Schuss auf Neda
Soltan zu 40.000 allein in Teheran demonstriert haben.
(3)Sie protestieren gegen eine Herrschaft, die inzwischen in eine Militärdiktatur
verwandelt worden ist, die ihre Herrschaft auf nichts als auf Gewalt stützt und
gegen ihr eigenes Volk zu verteidigen sucht; die ihr Land zerstört; deren Chef
den Holocaust noch während des Wahlkampfs Anfang Juni leugnet und der zu
einer kooperativen Sicherheit in der Region weder fähig noch willens ist.
(Inzwischen sind Persönlichkeiten wie Mir Hossein Mussawi, Ali Akbar Hashemi
Rafsanjani und Mohammad Resa Chatami in Gefahr, jederzeit verhaftet zu
werden.)
Statt gegen die Mitglieder der Revolutionsgarden und der Milizen und ihre
Befehlshaber Anklage zu erheben und alle politischen Gefangenen freizulassen,
hat sich das Regime entschlossen, in der Tradition des stalinistischen und
nationalsozialistischen Totalitarismus Schauprozesse zu inszenieren. Sie haben
den anerkannten Reformer und Mitarbeiter Chatamis, Mohammed Ali Abtahi
gefoltert und - wie glaubwürdig von einem Mitglied der Familie Abtahi berichtet
wird - unter schwersten Drogen dazu gezwungen, angebliche Fehler einzugestehen.
Nicht einmal im Volksgerichtshof der Nationalsozialisten hat man Leute gefoltert
und zu falschen Geständnissen gezwungen. Dies kennen wir aus dem Stalinismus.
Ein Teil der Medien ist dumm genug, ohne Prüfung der Herstellung dieser Aussagen
Eins zu Eins abzudrucken. Die abgründige Dreistigkeit dieses Schauprozesses mit
der Drohung, gegen die 100 vorgeführten die Todesstrafe zu verhängen, zeigt in
unüberbietbaren Zynismus nur, dass dieses Regime nicht nur nach innen, sondern
auch nach außen auf die prekäre Macht physischer und psychischer Gewalt setzt,
nicht auf Kommunikation und nicht auf Kompromiss, schon gar nicht auf eine
Perspektive des Friedens nach innen und nach außen.
Wie die Kette an Morden in den Tagen nach der Wahl vom 12. Juni ist es nun
zusätzlich dieser Schauprozess, der das totalitäre Potenzial der Herrschaft des
bisherigen Präsidenten zusammen mit wesentlichen Teilen der Revolutionsgarden
und mit Unterstützung des geistlichen Führers entfesselt. Es handelt sich inzwischen
unter dieser besonderen Führung um ein Regime, das Hannah Arendt am Beispiel des
Nationalsozialismus in Elementen und Ursprüngen totaler Herrschaft bis heute gültig
analysiert hat und in der die Menschen in Eigene und Nicht-Eigene, in Bürger erster
und zweiter Klasse, in die einen, die für das Heil der Welt und die anderen, die
für die Vernichtung stehen und deswegen vernichtet gehören, apokalyptisch
unterschieden werden. Und wie Sie wissen gehört der bisherige Präsident zu jener
apokalyptisch paranoiden Sekte, die mit Ayatollah Mesbah Yazdi sich aktiv,
revolutionär und mit den Mitteln der Vernichtung der anderen auf die alsbaldige
Wiederkunft des Mahdi vorbereitet.
II.
Diesem Schauprozess wird - ob Sie es wollen oder nicht - mitgratuliert,
wenn Vertreter der Botschaften zur sogenannten Amtseinführung des
bisherigen Präsidenten teilnehmen. Selbst die zweithöchste Persönlichkeit
des Staates im Iran, Rafsanjani hat der Vereidigung des bisherigen
Präsidenten nicht beigewohnt. Wie sollen es die Menschen im Iran und
in der Welt verstehen, dass die noch entscheidendere Zeremonie im Schatten
des Schauprozesses nun von Botschaftern aus Europa beglaubigt wird? Dies
wird zurecht von den Freiheit suchenden Iranern als Vertrauensbruch
interpretiert, wie wir Emails entnehmen müssen. Mehr noch: wir wissen aus den
bitteren Erfahrungen unserer Geschichte, dass totalitäre Persönlichkeiten an
der Macht jeden, der auch nur den Eindruck erweckt, er habe sich erpressen
lassen, mit Verachtung und einem noch brutaleren Verhalten straft. Das
wissen wir aus Adornos Analyse des autoritären Charakters.
III.
Die Bewegung der Mehrheit des iranischen Volkes für mehr Freiheit braucht unsere
öffentliche Aufmerksamkeit, auch und gerade acht Wochen danach. Sie braucht
internationale Solidarität. Sie braucht unser Insistieren auf der Einhaltung der
Menschenrechte, wie sie die iranische Verfassung und die internationalen Konventionen,
die Iran unterschrieben hat, vorsieht. Der Iran des bisherigen Präsidenten hat sich nicht
an die Grundsätze der Vereinten Nationen gehalten. Er hat die Konventionen, die er
selbst zu Fragen der Information und Pressefreiheit unterzeichnet hat, gebrochen.
Beantragen Sie, auch wenn Russland oder China jetzt noch nicht weiß, was es dazu
sagen will, eine Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates. Bringen Sie die brutalen
Menschenrechtsverletzungen, die auch heute anhalten und seit über 10 Jahren die
schwersten sind, vor die Vereinten Nationen.
Mit herzlichen Grüßen,
Ihr Hajo Funke
Wer sich diesem Aufruf anschließen möchte, der schickt bitte eine
Mail/Fax
an folgende Adressen -(mit Name/Wohnort/Beruf):
post@iran-aktuell.de
Fax an: 0721-151 515817 [image: sipgate
Click2Dial]*
Nachtrag am 15.09.2009 - die Antwort:
http://www.iran-aktuell.de/45.html zu der Petition an die Bundeskanzlerin Merkel und Aussenminister Steinmeier
Mittwoch, 5. August 2009
Offener Brief von Hajo Funke 05.08.2009
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Darood Julia-joon !
AntwortenLöschenVielen lieben Dank für deine unermüdliche Unterstützung !
Hier findest Du die Antwort des Auswärtigen Amt http://www.iran-aktuell.de/45.html zu der Petition an die Bundeskanzlerin Merkel und Aussenminister Steinmeier.
Und hier sind Links zu Petition an die UN ...
dt. ----> http://www.iran-aktuell.de/76.html
engl. --> http://www.iran-aktuell.de/77.html
farsi --> http://www.iran-aktuell.de/78.html