Übersetzung aus dem Englischen: Julia
Quelle: "Devouring their own - Basiji in the Islamic Republic"
http://www.huffingtonpost.com/narges-bajoghli/devouring-their-own-the-b_b_264939.html
von Narges Bajoghli
Amir Hosseini* folgte dem Aufruf Ayatollah Khomeinis zur Verteidigung der Nation und der Revolution, als Irak am 22. September 1980 in den Iran einmarschierte. Er fand sich im benachbarten Hauptquartier der Basij ein und meldete sich mit 17 Jahren freiwillig an die Front. Die Basij entstanden kurz nach der iranischen Revolution von 1979 als "große Volksmiliz", in den Worten Ayatollah Khomeinis, der der Höchste Führer der neu gegründeten Islamischen Republik wurde. Diese paramilitärische Gruppe stand unter der Federführung der Revolutionsgarden, und beide spielten im Iran-Irak-Krieg von 1980 bis 1988 eine große Rolle. Amir Hosseini schloss sich 1980 ihren Truppen an und ging kurz darauf an die Front.
Als hingebungsvoller Basiji, der zu einem versierten Kämpfer geworden war, kehrte Amir jedoch schon 1986 auf das Schlachtfeld zurück. Ein Jahr später, in einem Minenfeld im Süden des Landes, verlor er beide Beine und musste für den Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzen, während die Chemikalien allmählich seine Lungen verätzen.
Amir ist einer dieser Männer, die mit grimmigem Stolz zu ihren Jahren an der Front stehen. Seine Jugend verbrachte er in den Schützengräben im Kampf gegen die Iraker (die von Europa und Amerika mit ausgeklügelten Waffen ausgestattet waren), während dieser ersten grausigen Schlachten mit nichts anderem als Maschinengewehren und Molotovcocktails, um die Iraker von iranischem Terrain zu vertreiben. Er ist ein Veteran des längsten Krieges des 20. Jahrhunderts, der mehr als 1 Millionen Menschenleben sowohl in Iran als auch in Irak forderte.
Zu Beginn der auf den Krieg folgenden Wiederaufbauphase im Iran wurde Amir jedoch zunehmend desillusioniert über die Mächtigen. Er erkannte, dass das, wofür er gekämpft hatte, nichts mit dem zu tun hatte, was die politische Elite im Namen des Krieges tat. Er sah, wie "Kriegsveteranen", die ihren gesamten Dienst in Büros weitab der Front verbracht hatten, lukrative Geschäfte zugeschanzt bekamen, er war Zeuge, wie die Wandbilder seiner toten Freunde allmählich als Werbung die Anschlagtafeln in ganz Teheran zu zieren begannen: ihr gerechter Kampf wurde wie ein Wunder-Reinigungsmittel verkauft, mit dem alle Flecken und Makel, die ganze Korruptheit der Regierung beseitigt werden sollten.
Der Krieg war vorbei, die Anstrengungen zum Wiederaufbau des Landes waren im Gange, und die Revolutionsgarden waren nicht mehr länger eine Institution zum Schutz der Nation und der Revolution - sie wurden zum größten unabhängigen Wirtschaftsimperium innerhalb des Regimes. Durch die Kombination der Wirtschaftspolitik unter Präsident Rafsanjani (1989 - 1997) mit den politischen Manövern des neuen Höchsten Führers, Ali Khamenei, ist die Islamische Republik trotz der Warnungen Ayatollah Khomeinis zu einem militarisierten Staat geworden. Tatsächlich hatte Khomeini in den 1980er Jahren erklärt, dass das Militär und die Revolutionsgarden sich aus der Politik heraushalten müssten. In seinem Testament, das ein Manifest für die Islamische Republik in der Ära nach Khomeini ist, schrieb Khomeini:
"Mein ausdrücklicher Rat an die Streitkräfte ist, sich an die Regel der Nichteinmischung des Militärs in die Angelegenheiten der politischen Parteien zu halten. Die Streitkräfte einschließlich der Armee, der Polizei der [Revolutions]Garden, der Basij und anderer dürfen keiner politischen Partei beitreten und müssen sich von politischen Manövern fernhalten. Die Revolution gehört dem Volk, und ihr Schutz ist die Pflicht aller, es ist die patriotische und islamische Verpflichtung der Regierung, des Volkes, des Verteidigungsrats und des Majlis [Parlament, d. Übers.], sich den Streitkräften sofort entgegenzustellen, wenn sie - seien es die Befehlshaber und die oberen Ränge oder die niederen Ränge - gegen das Interesse des Islam und des Landes handeln oder wenn sie politischen Parteien beitreten oder sich an politischen Manövern beteiligen wollen, was sie ohne Zweifel ruinieren wird. Es ist die Pflicht des Führers und der Revolutionsgarde, derartige Aktoinen mit Gewalt zu verhindern, um Schaden vom Land abzuwenden." (1989: 45).
Nichtsdestotrotz hat Rafsanjanis Wirtschaftspolitik zum Wiederaufbau des Landes ihn dazu gebracht, die Erhöhung der Einkünfte zur Priorität für alle Regierungsbehörden zu machen. Während des Krieges selbst hatten die Revolutionsgarden ihre wirtschaftliche Macht über die iranische Gesellschaft vergrößert. Ihr riesiges Budget war im Majles (Parlament) nicht rechenschaftspflichtig, und ihre Partnerschaften mit der einflussreichen und mächtigen Märtyrer-Stiftung (Bonyad-e Shaheed) und der Stiftung der Unterdrückten (Bonyad-e Mustazafen), beide direkt nach der Revolution gegründet, unterlagen keiner Aufsicht. Diese Stiftungen gehören zu den am großzügigsten ausgestatteten Organisationen im Staat.
Im Juli 2007 erklärte das Energieministerium, dass die Auftragnehmer der Revolutionsgarden alle öffentlichen Infrastrukturprojekte einschließlich Wasser, Elektrizität und Brücken zunächst in Westiran leiten würden. Viele dieser Verträge wurden (und werden immer noch) ohne Ausschreibung vergeben, was gegen das iranische Gesetz ist, das offene Ausschreibungen vorschreibt. Zusätzlich zu ihren Verträgen betreiben die Revolutionsgarden auch ihre eigenen "Freihandelshäfen", in denen der durchschnittliche iranische Geschäftsmann, der Waren importieren oder exportieren möchte, hohe Zölle zahlen muss.
Mit einer Mischung von Wirtschaftspolitik und politischen Manövern haben die Revolutionsgarden und die Basij alle Bereiche des öffentlichen Lebens im Nachkriegsiran betreten.
Nach den Studentenprotesten von 1999 in Teheran erklärten 24 führende Offiziere der Revolutionsgarden in einem an Khatami adressierten Brief in der konservativen Zeitung Jomhuri-e Eslami, die Revolutionsgarden könnten "diese Situation nicht länger tolerieren" und würden handeln, sollte Khatami seine Politik nicht ändern. Als Khatamis Präsidentschaft zu Ende ging, wurden die reformorientierten Mitglieder der Revolutionsgarden in den Hintergrund gedrängt, während ihre konservativen Kollegen innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Gefilde gut positioniert wurden, um ihre Macht zu vergrößern.
In den Präsidentschaftswahlen von 2005 waren fünf der sieben Bewerber für das Amt entweder Mitglieder der Revolutionsgarden oder hatten irgendwann die Revolutionsgarden befehligt. Die Wahl von 2005 war der Wendepunkt, an dem die konservativen Mitglieder der Revolutions-garden und Basij die wichtigsten politischen Ämter im Land beanspruchten. Nachdem Mahmoud Ahmadinejad (selbst ein ehemaliges Mitglied der Revolutionsgarden) die Wahl von 2005 gewonnen hatte, waren viele seiner Kabinettsmitglieder und fast 80 Parlamentsmitglieder formal Mitglieder der Revolutionsgarden.
Am 13. Juni, nach der Verkündung der Wiederwahl Ahmadinejads zum Präsidenten mit einer großen Stimmenmehrheit, gingen Amir, seine Frau und ihr 25-jähriger Sohn auf die Straße und schlossen sich Millionen von Iranern an, die gegen das Wahlergebnis protestierten.
Auch am zweiten Tag gingen sie mit Millionen friedlicher Demonstranten, in einem Schweigemarsch, um ihre Stimmen hörbar zu machen. Angespornt von der unglaublichen Energie der Straße verließen Amir und seine Familie auch am dritten Nachmittag ihre Wohnung. Sein Sohn schob Amirs Rollstuhl, und sie schlossen sich der Menschenmenge an. Es war der Tag, an dem die Basij (dieselbe Gruppe, der Amir einst voller Stolz beigetreten war) seinen Sohn mit ihren Schlagstöcken und Gift attackierten. Amir schrie sie von seinem Rollstuhl aus an, appellierte an ihr Erbarmen. Um ihn zum Schweigen zu bringen, wandten sie sich ihm zu, schlugen ihn, um dessen Handgelenke die grünen Bänder von Mir Hossein Moussavi gewickelt waren, bis er aus seinem Rollstuhl fiel. Blutig und zerschrammt wurde er von seinen Nachbarn nach Hause gebracht. Obwohl das im Vergleich zu seinen Kriegswunden nichts war, weinte Amir in dieser Nacht unkontrolliert. Er war nicht imstande zu glauben, dass das System, für das er während seiner ganzen Jugend gekämpft hatte, das System, für das er stolz und ohne sich zu beklagen seine beiden Beine verlor, sich gegen ihn gewendet hatte. Er hatte 20 Jahre ohne seine Beine gelebt und seine Abende am Beatmungsgerät verbringen müssen, weil seine Lungen nicht mehr selbstständig atmen konnten. Und jetzt hatten sie ihn geschlagen.
Am nächsten Tag erlitt Amir einen Herzinfarkt.
Er liegt noch immer auf der Intensivstation in einem Krankenhaus in Teheran, seine Familie und seine Freunde aus Kriegszeiten sind bei ihm. "Dafür haben wir nicht gekämpft", sagen sie zu mir, und Ärger klingt in ihren Stimmen mit. "Diese Kinder da draußen mit den Schlagstöcken, die sind wie ein Krebsgeschwür für unsere Gesellschaft", sagt einer, mit Augen, die rot sind vor Ungläubigkeit und Empörung.
* Der Name wurde zum Schutz seiner Identität geändert
Narges Bajoghli, Doktorandin der soziokulturellen Anthropologie an der Universität New York, Wissenschaftlerin am MacCracken-Institut, beschäftigt sich mit der Produktion von Medien in revolutionären Gesellschaften, insbesondere mit der Rolle der Basij in der Medienproduktion im Iran.
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