Freitag, 27 Shahrivar (18. September)
23:00 Uhr
Es war ein langer Tag. Ich bin müde und werde mich bald aufs Ohr legen. Hier sind meine Notizen, die ich später online stellen muss, weil das Internet fast stehengeblieben ist und die Proxies nicht funktionieren.
10:30 Uhr
Als wir die Modarres-Schnellstraße Richtung Haft-e Tir-Platz fuhren, wurde der Verkehr immer dichter - ein gutes Zeichen - und an der Abbas-Abad-Ausfahrt kam er zum Erliegen. Wir sahen einige Leute mit grünen Armbändern in ihren Autos, andere zeigten das V-Zeichen. Als wir näher kamen, wurde klar: Es ist Green Day, Tag der Grünen. Wir nahmen die Ausfahrt vor Haft-e Tir, parkten in einer Seitenstraße, holten unsere Armbänder hervor und gingen nach Süden Richtung KarimKhan Avenue, aus der ein dumpfes Grollen zu hören war.
Ich verbürge mich für Haft-e Tir und Karim Khan-Straße. Dort war grün, nichts als grün, genauso voll wie am Mittwoch nach dem Wahltag, über und unter der Brücke. Der Zug hatte begonnen, und wir schlossen uns an. Während der ersten Minute waren alle in unserer Gruppe still und unterdrückten heimlich die Tränen.
Einige der Slogans des Tages waren:
“Nicht für Ghaza, nicht für Libanon, mein Leben für Iran"(Na Ghazze, na Lobnan, janam fadaye Iran.)
“Wir wollen keine Krokodilstränen, wir wollen keine Mesbah-Regierung" (Ashke temsah nemikhaim, dolat-e Mesbah nemikhaim.)
“Basiji, schämt euch, gebt das Söldnerdasein auf" (Baseeji, haya kon, mozdoori ro raha kon.)
Mitunter kamen wir an kleinen Gruppen von Sicherheitskräften vorbei, die abseits standen und die Prozession beobachteten.
Vali-Asr war völlig überlaufen mit Grünen, als sich von Süden her ein Lastwagen mit aufmontierten Lautsprechern näherte, begleitet von einer Entourage aus Regierungsanhängern mit Hisbollah-Fahnen und Anti-Israel-Plakaten, und sich seinen Weg durch die Menge bahnte. Um besser durchzukommen, besprühten sie uns mit Tränengas. Genau weiß ich nicht, was es war. Es roch anders als Tränengas, mehr wie eine brennende Autokupplung, und es gab keinen Rauch. Ich fühlte nur ein scharfes Brennen in meiner Kehle, das sehr schnell heftiger wurde, und meine Augen tränten. Wir wurden zusammengedrängt, als das Auto die Menschen nordwärts auf die Vali-Asr-Straße schob.
Im Gefolge des Autos befand sich eine Prozession aus Regierungsanhängern, die sich irgendwann auf den Keshavarz-Boulevard nach Westen bewegte. Jetzt war ich mit einem Freund von unserer Gruppe getrennt. Sie waren vor den Regierungsdemonstranten auf die Keshavarz-Straße gegangen. Wir ruhten uns auf der Vali-Asr-Straße ein bisschen aus und beschlossen dann, durch Seitenstraßen nach Westen zu gehen, um vor die Regierungsdemonstration zu gelangen und die anderen aus unserer Gruppe vielleicht einzuholen. Als wir wieder auf dem Keshavarz-Boulevard waren, hatten sich die Gruppen vermischt. Die Regierungstreuen gingen in der Mitte, während die Grünen sich auf beiden Seiten bewegten, alle riefen einander Parolen zu. Die regierungstreue Prozession war von vorn und hinten und von den Seiten zwischen den Grünen eingeklemmt. Busse, die auf der Keshavarz-Straße parkten, wurden besprüht und zeigten sich in Grünen Parolen.
13:00 Uhr
Wir waren hinter der Palästina-Straße und sahen, dass Sicherheitskräfte den Weg nach Süden Richtung Enghelab-Avenue versperrten. Ahmadinejads Rede wurde über Lautsprecher übertragen, aber wir konnten ihn kaum verstehen. Es gelang mir, jemanden aus unserer Gruppe anzurufen, und er sagte, sie seien inzwischen in der 16-Azar-Avenue (in der Nähe der Tehran-Universität, wo das Freitagsgebet stattfand) und würden dort sitzen und Parolen rufen. Ich sagte, wir würden nicht zu ihnen stoßen, sondern stattdessen zurück zum Haft-e Tir gehen, da die Grünen sich mittlerweile auf der anderen Seite der Keshavarz-Straße in diese Richtung bewegten. Der Marsch setzte sich also wieder in Bewegung, alles war mittlerweile voll mit hupenden Autos.
13:30 Uhr
Wir sahen, wie sich in der Nähe des Vali-Asr-Platzes und den Kreuzungen südlich der Karim Khan Straße Sicherheitskräfte zu mobilisieren begannen. Ich versuchte, die Jungs hinter uns anzurufen, um sie zu warnen, dass etwas im Busch war, aber ich kam nicht durch. Wir gingen weiter Richtung Hafte-Tir, jetzt gab es hinter uns am Vali-Asr ein massives Sicherheitsaufgebot.
14:00 Uhr
Wir sahen Sicherheitskräfte auf jeder Straße südlich von Karim Khan, und zwischen der Brücke und Haft-e Tir wussten wir, dass es Zeit war, zu verschwinden. Auch andere rieten den Menschen, die Menge aufzulösen, denn es sah so aus, als würde es bald Zusammenstöße geben. Weiter oben begannen Motorradfahrer damit, die Menschen vor sich her zu treiben, und wir gingen nach Norden zur Sanaie-Straße. Auch die Basij-Söldner waren mittlerweile aufgetaucht.
Wir sahen eine riesige Rauchsäule in der Nähe vom Haft-e Tir-Platz, und ein Freund rief an, um zu sagen, dass Basiji und Polizei dort auf die Leute losgelassen worden seien. Der Rauch kam offenbar von den brennenden Kunststoffbarrieren auf dem Haft-e Tir. Er trieb nach Norden ab. Was wir dort zwischen Sanaie und Kheradmand taten, war ungefähr das Gleiche: Weglaufen von den Polizisten und den Basij und ihren Schlagstöcken ausweichen. Wir bekamen sogar etwas Wasser und einen Imbiss in einem armenischen Laden. Ein bisschen Luxus ist nicht verkehrt.
14:30 Uhr
Wir befanden uns in einer relativ ruhigen Straße, als ein Freund aus unserer Gruppe anrief. Er redete unzusammenhängend und war orientierungslos. Ich fragte, ob er geschlagen worden sei, und er sagte, man hätte ihn auf den Kopf geschlagen. "Blutest du?" Er sagte, sei Knie würde bluten, aber das sei so ziemlich alles. Zuerst konnte er mir nicht sagen, wo er war, aber nachdem wir das herausbekommen hatten, sagte ich, er solle nach Westen gehen. Er stand neben sich und wusste nicht, wo Osten und wo Westen war, also sagte ich, er solle dort bleiben, wir wären auf dem Weg.
Wir benötigten fast eine Stunde und noch ein paar Anrufe, bis wir ihn fanden. Er bewegte sich ziellos umher, aus Angst, von den Sicherheitskräften gesichtet zu werden, und wir konnten den Weg nach Osten nicht abkürzen, weil viele Straßen blockiert waren. Als wir ihn endlich fanden, war er rot im Gesicht, seine Hose war an den Knien gerissen, und er hatte eine riesige Beule am Hinterkopf. Wir brachten ihn zum Auto, das etwa 20 Minuten entfernt war, aber wir hatten keine andere Wahl.
Das ist seine Geschichte:
Sie waren irgendwo am östlichen Ende der Karim Khan-Brücke in der Nähe des Etemaad-e Melli-Gebäudes angegriffen worden. Sie zerstreuten sich in verschiedene Richtungen, als ihm plötzlich einer der Bereitschaftspolizisten in den Weg sprang und ihm Tränengas ins Gesicht sprühte. Er rannte an ihm vorbei und bekam mit dem Knüppel, den der Sicherheitsmensch in der anderen Hand hielt, einen Schlag auf den Kopf. Er fiel in eine Straßenrinne, rappelte sich auf, wurde am Bein gepackt und umgedreht. Er hörte Frauenstimmen in der Nähe, die den Polizisten anschrieen, ihn loszulassen, was er endlich auch tat. Er kroch dann auf dem Gehsteig weiter, bis eine andere Frau ihn in ein Gebäude zog. Dort waren einige verletzte Menschen, und zwei normale Polizisten mittleren Dienstranges saßen dabei. Er dachte, das wäre das Ende; die Polizisten würden die Leute dort festhalten, um sie später wegzubringen. Es stellte sich heraus, dass die Beamten den Leuten halfen, sich nach ihren Verletzungen erkundigten und ihnen sagten, was sie tun sollten.
Als einer der Beamten eine Nachricht über sein Walkie-Talkie erhielt, sagte er seinem Vorgesetzten, dass er nicht gehen könne, weil er einen Stein gegen das Bein bekommen hätte und sich nicht bewegen könnte. Das war eine Lüge. Nachdem er sich vor einer Klimaanlage etwas ausgeruht hatte, ging mein Freund weiter und bewegte sich Richtung Norden von Karim Khan, bis wir ihn fanden. Als er hinausging, sagte einer der Polizisten zu ihm "Denk dran, wir haben niemanden geschlagen".
15:30 Uh
Auf unserem Weg zum Auto riefen zwei andere aus unserer Gruppe an. Einer war mit einem Schlagstock auf die Schulter geschlagen worden, aber es ging ihm gut. Der andere war unverletzt und hatte sich in einem Haus in Sicherheit gebracht. In der Sanaie-Straße stießen wir zu ihnen. Obwohl es unserem verletzten Freund gut zu gehen schien, verbrachten wir den Nachmittag im Krankenhaus, um für alle Fälle ein CT machen zu lassen. Im Krankenhaus bestätigten sie uns, dass mit ihm alles in Ordnung war.
Unser Motto für heute war gewesen "Alles, nur keine Verhaftung". Leichter gesagt als getan, denn in dieser Situation dort kann man sehr wenig machen. Unser Freund war gerade noch mal davongekommen und hatte Glück, dass die Frauen in der Nähe gewesen waren.
Im Rückblick, jetzt, wo ich weiß, dass niemandem etwas passiert ist, war der emotionalste Teil des Tages der Anfang, als unsere Angst vor einer geringen Beteiligung an den Demonstrationen schwand und wir den Grünen Ozean wieder sahen. Das allgemeine Gefühl ist Stolz - Stolz darauf, den Quds-Tag völlig verdorben zu haben. Das Wichtige ist, dass beide Lager auf den Straßen waren, als die Angriffe begannen. Die regierungstreuen Familien hatten die Gelegenheit zu sehen, wie andere heute auf der Straße behandelt werden.
(Thank you persianumpire)
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