Mittwoch, 30. September 2009

Ich sehe euch! Was Iran mitbekommt

Original (Englisch): http://www.persianumpire.com/2009/09/29/i-see-you/
Übersetzung: Julia
Bei Weiterveröffentlichung bitte den Link zu diesem Post angeben.
****

veröffentlicht am 29. September 2009 von persianumpire



Mehrere Leute haben mich in letzter Zeit gefragt, wie viel von dem, was außerhalb vor sich geht, im Iran wahrgenommen wird. Wenn ihr nicht direkt von mir gehört habt, nehmt dies bitte als meine Antwort.

Es ist eine schwierige Frage, aber ich will versuchen, sie bestmöglich zu beantworten: Wir sehen alles. Na ja, wahrscheinlich ein bisschen weniger, da nicht alles von allem, was überall passiert, von überall gesehen wird. Aber wir bekommen trotzdem ziemlich viel mit.

Dementsprechend führt uns das zu der Frage, wie gut diese Informationen innerhalb Irans verbreitet wird. Wenn man das gesamte Spektrum der iranischen Gesellschaft betrachtet, vom englischsprechenden Iraner mit Internetanschluss bis hin zu dem alten Bauern, der nicht einmal einen Zeitungskiosk zur Verfügung hat, können wir sehen, wie schwierig das zu beurteilen ist. Weitere Komplikationen entstehen, wenn man die Banbreite der Internet-User bedenkt - Schätzungen sprechen von gut 20 Millionen - die zwischen "Monster-Surfern" und denen, die "gelegentlich virtuelle Post super finden". Aber ich sollte die Frage beantworten.

In diesem Post müssen die Worte "wir" und "alle" auf die kleine Blase bezogen werden, in der ich lebe und die sich mit einigen anderen Blasen überschneidet, die wiederum hoffentlich weitere Blasen überschneiden. Es gibt also einen Wermutstropfen dabei, aber so funktioniert es:

Nachrichten von außerhalb erreichen uns hauptsächlich über Fernsehnetzwerke wie BBC Persian und VOAPNN sowie das Internet. Wir empfangen Fernsehsendungen über Satellitenschüsseln, und man kann ziemlich sicher sagen, dass die meisten Dächer in Teheran damit ausgestattet sind. Wenn man Teheran verlässt und in kleinere und abgelegenere Städte kommt, sieht man weniger davon, aber man sieht sie.

Auch wenn BBC Persian ein relativ neuer Dienst ist, scheint es mit besseren Programmen un besserer Berichterstattung das Publikum von VOA zu schlucken. Ab und zu schickt die Regierung ein paar Störsignale, was dann bedeutet, dass wir den Satellitenmann rufen, die Schüssel neu ausrichten und ein paar neue Codes in unsere Empfänger hauen müssen, und schon sind wir wieder im Geschäft.

Dann gibt es da das Internet. Die großen Medien sind im Internet natürlich auch vertreten, und wir besuchen sie, um die großen Nachrichten mitzukriegen, die es bis dahin schaffen. Wir wissen auch, dass sie die kleineren Sachen nicht bringen bzw. in die Fallen tappen, die sie von dem ablenken, was wir wichtig finden. Aber für die Farbnuancen und feineren Schattierungen, gute Analysen und Kommentare begeben wir uns in andere Ecken des Netzes.

Wir sehen eure Tweets, Bilder, Posts, das, was durchsickert, Facebook-Walls, Gerüchte, Artikel, Flames, Trolls, unterstützende Botschaften, Slogans, Kommentare, Witze, Videos und alles andere, was ihr macht. Nehmen wir Twitter, eine wichtige Quelle für uns besonders für neueste Schlagzeilen selbst über das, was im Iran passiert. Ein Beispiel: die Studentenproteste in dieser Woche. Für alle, die keinen Twitter-Account haben, gibt es Webseiten, die die öffentlichen Tweets von jedem Hashtag senden. Überraschenderweise werden manche dieser Seiten noch nicht gefiltert. In den Fällen, wo gefiltert wird, benutzen wir Proxies, um diese Informationen zu bekommen. Es gibt auch RSS-Feeds, die wir wir benutzen können, um über netzbasierte E-Mail-Dienste an unsere Nachrichten zu kommen und die Filter auf andere Weise zu umgehen. Es ist nicht möglich, uns zu blockieren, es sei denn, man unterbricht das ganze Internet, was die Regierung nicht ohne weiteres tun kann, weil einige wichtige Kommunikationswege wie z. B. Bankwesen davon abhängen. Wenn sie sich jemals entschließen sollten, das zu tun, wird dazu eine Reihe kritischer Überprüfungen und das Auslaufenlassen von Verbindungen in Wohngebieten erforderlich sein. Selbst in diesem Fall werden wir immer noch Internet und am Ende Ferneinwahl haben. Wenn ich 200$ pro Monat zahlen muss, um zu lesen, was ihr schreibt, dann ist es eben so.

Also, wie kann eine Minderheit, die sich durch die Ecken und Winkel des Internet arbeitet, die Mehrheit informieren? Informationen von Webseiten werden zuerst über Chats und E-Mail verbreitet, und dann tut die Mundpropaganda ihr Bestes. In den letzten drei Monaten drehten sich die Gespräche bei jedem Abendessen in jedem Haus wo ich war um Politik und die aktuelle Situation. Meine Taxifahrten und Besuche im Gemüseladen sind durchsetzt mit aktuellen Nachrichten und Politik. So lange die Ereignisse in jedermanns Bewusstsein sind, zirkulieren Nachrichten auf sehr effiziente Weise.

Außer durch Mundpropaganda werden Informationen auch in materieller Form durch dasn iranische Sneaker-Net verbreitet. Vermutlich tun sich nicht viele Leute das an, aber manche. Zum Beispiel weiß ich von ein paar jungen Leuten, die wichtige Nachrichten ausdrucken, Fotos und Videos auf CDs brennen, die man auf normalen CD-Geräten abspielen kann, und dies dann zu ihren Familien außerhalb Teherans bringen, wenn sie sie am Wochenende besuchen. Es ist wichtig, das Regime in seinem Versuch, die Realität zu verschleiern, zu entwaffnen.

Als aktuelles Beispiel haben wir gesehen, gehört und gelesen, wie entgegenkommend New York City Ahmadinejad bei seiner Reise behandelt hat, und wie wohl er sich dort gefühlt hat. Ich bedanke mich herzlich bei allen Beteiligten und wünschte, ihr würdet ihn dort behalten, da wir keine weitere Verwendung für ihn haben. Er wirkte auch ziemlich zufrieden damit, leere Reden in leeren Hallen zu halten.

Wo wir über Twitter sprechen - wahrscheinlich wisst ihr, dass wir hier im Iran einen ähnlichen Dienst haben. Ich habe schon einmal etwas darüber geschrieben. Eigentlich war dieser Dienst einmal dafür gedacht, Slogans zu verbreiten und die Regierung daran zu erinnern, dass wir noch da sind. Aber vor Kurzem haben manche damit begonnen, dieses Mittel in ein Nachrichtensystem zu verwandeln. Ich habe sogar schon Grüne Poesie darauf gesehen. Wir müssen uns auf wenige Buchstaben begrenzen, um das Wesentliche der Nachricht an unsere Leser weiterzugeben. Es ist billig, immer verfügbar und sehr effektiv. Das Einzige ist, dass wir uns mit den Tweets nicht identifizieren, und es gibt keine Garantie dafür, dass die User nur bestätigte Nachrichten drucken. Aber was macht das schon? Wir befinden uns in einem Informationskrieg. Dies hier:







wird in Kürze Informationen über den aktuellen Kauf von TCI durch die Revolutionsgarden enthalten und in anderer Leute Geldbörsen gesendet werden.

Es ist nicht zu vermeiden, dass manche im Dunkeln bleiben, aber ich kann sagen, dass ich oft überrascht war, wenn ich in Gesprächen mit zufälligen Gesprächspartnern nicht nur in Teheran, sondern auch an entfernteren Orten bemerkte, wie gut sie über die Ereignisse im Iran und auch außerhalb informiert sind. Ich habe viele getroffen, die danach fragen, was die Außenwelt über uns denkt, und ich merke, dass ich nur gute und ermutigende Geschichten weitergebe.

So neugierig ihr auf das seid, was wir tun, so neugierig sind wir, was ihr tut. Die Unterstützung war immens und hat viele überrascht. Das Gesicht eines Gärtners aufleuchten zu sehen, wenn er das Bild von schwedischen Polizisten mit einer iranischen Flagge am Handgelenk sieht, ist nicht zu bezahlen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen