Sonntag, 27. September 2009

Iranischer Demonstrant flieht nach seinem Bericht über Vergewaltigung und Folter im Gefängnis

Quelle (Englisch): http://www.nytimes.com/2009/09/27/world/middleeast/27iran.html?pagewanted=2
Übersetzung: Julia

Bei Weiterveröffentlichung bitte den Link zu diesem Post angeben

Veröffentlicht: 26. September 2009

Als er sich voller Begeisteriung den Massenprotesten in den Straßen anschloss, die auf Irans mit Zweifeln behaftete Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni folgten, wollte Ibrahim Sharifi, 24, nur seine Stimme zu den Hunderttausenden hinzufügen, die von der Regierung forderten, die Ergebnisse zu annullieren. Niemals hätte er sich vorstellen können, irgendwann einen viel größeren Einfluss zu haben - als einzige Person, die bereit ist, über die brutale Behandlung zu berichten, der er im Gefängnis unterzogen wurde, darunter Vergewaltigung und Folter.

Sharifi, der dem Oppositionsführer und früheren Präsidentschaftskandidaten Mehdi Karroubi von den Torturen berichtete und letzten Monat einen Videobericht auf oppositionellen Webseiten veröffentlichte, ist zur Zeit in der Türkei. Er sagt, er sei aus dem Iran geflohen, nachdem ein Fremder ihn auf der Straße angehalten habe, um ihm zu sagen, dass seine Familie getötet werde, falls er vor dem parlamentarischen Komitee aussagen sollte, das die Folter- und Vergewaltigungsvorwürfe untersucht.

“Ich fühlte mich nicht mehr sicher, und außerdem hätte ich das Leben meiner Familie gefährden können," sagte er während einer Reihe von Telefoninterviews, in denen er detailliert über die Demonstrationen, seine Haft und die psychologischen Narben sprach, die die Misshandlungen hinterlassen haben.

Seit er von seinen Kidnappern an einer Teheraner Autobahn ausgesetzt wurde, sagte er, habe er panische Angst vor dem Alleinsein. Zuerst hatte er Schlafprobleme wegen der Angst, dass der Wachmann, der ihn im Gefängnis vergewaltigt hatte, ihn wieder angreifen würde. Jetzt ist er davon überzeugt, dass er von jemandem verfolgt wird, der ihn töten will.
“Ich war bereit, zu Tode gefoltert zu werden," sagte er mit zitternder Stimme. "Aber nicht, jemals das durchzumachen, was mir dort passiert ist."

Karroubi und ein anderer Oppositionsführer und Präsidentschaftskandidat, Mir Hussein Moussavi, haben die teuflischen Taktiken der Sicherheitsbehörden gegen die Demonstranten energisch verurteilt, von denen ihren Angaben zufolge 72 ermordet wurden. Doch von allen eingereichten Vorwürfen der Brutalität und des Missbrauchs stellt keiner eine solche Bedrohung für die Regierung dar wie die, die mit Vergewaltigung und Sodomie zu tun haben, die im Iran kulturell und religiös inakzeptabel sind.

Die Vergewaltigungsvorwürfe waren von Karroubi öffentlich gemacht worden, nachdem die Opfer begonnen hatten, sich an sein Büro zu wenden und über die Misshandlungen zu berichten. Die Vorwürfe - die die ramponierte Opposition neu zu beleben schienen - wurden von der Regierung umgehend zurückgewiesen. Die Regierung führte daraufhin Razzien in den Büros von Karroubi und Mousavi durch und beschlagnahmte Material. Anschließend verfügte ein juristischer Untersuchungsausschuss, dass die als Beweise für Vergewaltigungen und andere Misshandlungen vorgelegten Dokumente gefälscht seien.

Doch der Regierung ist es nicht gelungen, die Opposition und die Menschenrechtsgruppen zum Schweigen zu bringen, die die Behauptungen der Regierung zurückweisen. Menschenrechtsgruppen zufolge weist Sharifis Bericht deutliche Übereinstimmungen mit Berichten anderer Missbrauchsopfer auf. Omid Memarian, Rechercheur bei Human Rights Watch, sagt, er habe die Glaubwürdigkeit von Sharifis Geschichte mit Hilfe von Personen aus dem engen Umkreis Karroubis bestätigt.

“Seine Geschichte ist konsistent," sagt Memarian. "Er hat keinen Grund dazu, mit einer erfundenen Geschichte Risiken einzugehen, zumal er auch mit den Justizbehörden Kontakt hatte und eine gründliche Untersuchung gefordert hat."

Sharifi ist einer von fünf Brüdern, die im Norden Teherans in einer Familie der Mittelklasse aufwuchs. Die Familie war religiös, aber nicht fanatisch. Sein Vater, ein pensionierter Militäroffizier, hatte die Revolution von 1979 unterstützt und an den Demonstrationen gegen den Schah teilgenommen. Seine Mutter trug den traditionellen Tschador.

Sharifi studierte Computertechnik an der Offenen Universität Teheran und lernte beim italienischen Konsulat Italienisch, letzteres, weil er hoffte, einmal in Italien Medizin zu studieren.

Ohne offen politisch zu sein sagte er, er habe mehr Demokratie und Freiheit gewollt, aber schrittweise und friedlich. "Ich habe meinem Vater immer gesagt, dass selbst die REvolution von 1979 ein Fehler war und dass meine Generation keine Revolution will," sagte er.

Er sagt, alle in seiner Familie hätten die Reformbewegung favorisiert und seien geschockt gewesen, als Ahmadinejad bekannt gab, dass er einen Erdrutschsieg errungen habe - ein Ergebnis, das als Fälschung angeprangert wurde.

Sharifi war außer sich und begann als einziger in seiner Familie, täglich an Demonstrationen teilzunehmen. Am 22. Juni war er war auf seinem Weg zurück nach Hause, als er von zwei Männern gepackt wurde. "Ich hatte an jeder einzelnen Demonstration teilgenommen, ich hatte es kommen sehen, " sagte er.

Er sagte, man habe ihm Handschellen angelegt und die Augen verbunden und, wie er später erfuhr, in die berüchtigte Haftanstalt Kahrizak im Südwesten Teherans gebracht, von dem sogar die Regierung einräumt, dass mehrere Inhaftierte dort getötet wurden.

Er sagte, er habe vier Tage in Handschellen und mit verbundenen Augen in einer überfüllten Zelle mit etwa 30 anderen Gefangenen verbracht.

Am ersten Tag und periodisch auch in den folgenden vier Tagen seien sie bewusstlos geschlagen worden. Urin und Blut bedeckten den Boden. Am vierten Tag begann er, die Hoffnung aufzugeben, lebend wieder herauszukommen. Er konnte seinen Mund nicht schließen und sagte, dass er Blut zu spucken begann.

“Ich sagte dem Wachmann, dass er mich einfach töten sollte, wenn er wolle," sagte er und brach in Tränen aus. "Daraufhin rief der einen anderen Wachmann und sagte ihm, er solle mich schwängern."

Sie brachten ihn aus der Zelle in einen anderen Raum, wo sie ihn gegen eine Wand drückten, an der sich Handschellen und zwei Metallhaken befanden, mit denen seine Beine auseinander gehalten wurden. Der Wachmann zog seine Unterwäsche herunter und begann, ihn zu vergewaltigen.

“Er lachte spöttisch, während er das tat und sagte, ich könnte mich nicht einmal selbst verteidigen, wie ich denn darauf käme, eine Revolution inszenieren zu können."

“Sie wollten mich einschüchtern und erschrecken," sagte er weinend.

An diesem Punkt, sagte Sharifi, habe er das Bewusstsein verloren. Das nächste, an das er sich erinnerte war, dass er die Augen öffnete und realisierte, dass er in einem Krankenhaus lag, eine Hand an das Bett gekettet. Ein anderer Mann im Bett neben ihm schrie hysterisch.

Er sagte, er habe gehört, wie ein Arzt zu jemandem sagte, "Schmeiß ihn irgendwo raus, oder du wirst dasselbe Problem haben wie die anderen," womit gemeint war, dass er in der Haft sterben würde. Zwei Tage später, so sagte er, habe man ihn in ein Auto gesetzt, zu einer Autobahn in Teheran gefahren und ihn dort mit verbundenen Augen ausgesetzt.

Er ging sofort zu einem Psychiater, der ihn mit hohen Dosen angstlösender Medikamente behandelte. Dann ging er zur Polizei, um Beschwerde einzureichen, aber der Beamte gab ihm den Rat, dankbar dafür zu sein, dass er noch lebe, und zu versuchen, alles zu vergessen.

Rechtzeitig entschloss er sich, Karroubi aufzusuchen, da er gehört hatte, dass auch andere Vergewaltigungs- und Folteropfer dies getan hatten. Zuerst sprach er nur über die Folter, die Vergewaltigung war ein zu schmerzhaftes und peinliches Thema, um darüber zu sprechen.

Doch Karroubi vermutete, dass er sexuell missbraucht worden war, weil er jedes Mal, wenn er nach seinem letzten Tag im Gefängnis gefragt wurde, zu weinen und zu zittern begann, und drängte ihn, bis Sharifi es ihm endlich erzählte.

Selbst nach seiner erschütternden Totur weigert sich Sharifi, der darauf hofft, irgendwann in die USA gehen zu können, sich einschüchtern zu lassen.
“Ich glaube, sie verfolgen mich, um mich zu töten," sagte er. "Aber ich werde nicht zulassen, dass sie mich zwingen zu schweigen."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen